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Titel
Herrschaftsumbruch und Historiographie. Zeitgeschichtsschreibung als Krisenbewältigung bei Alexander von Telese und Falco von Benevent


Autor(en)
Krumm, Markus
Reihe
Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom (141)
Erschienen
Berlin 2021: de Gruyter
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
€ 119,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Francesco Panarelli, Dipartimento di Scienze Umane, Università della Basilicata

Es handelt sich um die erweiterte Fassung einer 2017 in München eingereichten, von Knut Görich betreuten Dissertation, die sich mit zwei Chroniken befasst, die der Forschung über den normannisch-staufischen Mezzogiorno gut bekannt sind: die Ystoria des Abtes Alexander von Telese und das Chronicon des Falco von Benevent. Diese beiden historiographischen Texte sind von besonderer Bedeutung, weil sie sich mit dem gleichen Zeitraum befassen, der mit dem Aufstieg Rogers II. von Sizilien zum König (1127–1139) zusammenfällt, und aus einer ganz gegensätzlichen Perspektive verfasst sind. Während Alexander von Telese aus seinem Benediktinerkloster San Salvatore di Telese schreibt und die Entstehung der Monarchie unterstützt, schreibt Falco aus der dem Papst unterstehenden Stadt Benevent und als Gegner des neuen Königs. So feierte Alexander von Telese den Aufstieg der normannischen Dynastie der Hauteville und die Schaffung einer ganz Süditalien und Sizilien umfassenden Monarchie, während Falco zum Exponenten einer alternativen Geschichte des Mezzogiorno wurde, in der die Stadt eine zentrale Rolle spielte, ähnlich wie die zeitgenössischen Stadtkommunen in Norditalien.

Angesichts dieser traditionellen Sichtweise der Forschung behandelt Krumm in einem eigenen Abschnitt (Meistererzählung der zwei Italien, S. 21–31) die entsprechenden historiographischen Vorurteile der italienischen Forschung, die unlängst in David Abulafias Monographie The Two Italies erneuert wurden. Es ist zweifellos das Verdienst Krumms die beiden Chroniken ins Zentrum seiner Untersuchung gestellt zu haben, die vor allem ihren zeitgenössischen Kontext behandelt und nicht spätere historische und historiographische Projektionen. Die Abhandlung ist in zwei gleich starke Teile unterteilt, von denen eine der Analyse des Textes Alexanders von Telese gewidmet ist (S. 49–172) und die andere dem Werk Falcos von Benevent (S. 173–344).

Die interpretative Linie des Verfassers spiegelt sich im Titel des Bandes und geht aus von Forschungsansätzen von Gerd Althoff, die auf die Erkenntnis der causa scribendi der Autoren von Chroniken abzielen. Eine weitere Voraussetzung ist, dass es oft Krisensituationen auf lokaler Ebene und nicht selten Regierungs- und Herrschaftswechsel sind, welche das Schreiben der Historiker anregen (S. 35). Im vorliegenden Fall sind also nach Krumm beide Erzählungen anzusehen als Narrative, die den lokalen Gemeinschaften der Autoren dienen, um eine Krise zu überwinden und positive Strategien für die Zukunft herzustellen; so werden diese Erzählungen Zeugnisse der Art und Weise der Überwindung einer Krise auf lokaler Ebene.

In dieser Forschungsperspektive wird die genaue Bestimmung des Zeitpunkts der Grundidee und der Redaktion grundlegend. Die Abfassung der Ystoria Alexanders erfolgte nach Krumm zwischen September 1135 und Juni 1136, also in einem Moment, in dem – nach einem erneuten Aufstand gegen Roger II. – auch der Inhaber der Grafschaft Caiazzo, Rainulf von Alife, Schwager und großer Gegner Rogers II., vom König abgesetzt und ein neuer Graf ernannt worden war. Damit war eine radikale Veränderung des politischen Kontexts erfolgt, in dem sich die Abtei von Telese befand, und mit der Abfassung der Ystoria ist die neue politische Kollokation des Klosters besiegelt worden, die von der Allianz mit dem lokalen Grafen zu der mit dem König wechselte (S. 59). Das von Matilde, der Schwester Rogers II., in Auftrag gegebene Werk und seine Schenkung an den Herrscher sollten dazu dienen, die während der kriegerischen Jahre des Aufstands erlittenen Schäden in der näheren Umgebung des Klosters zu kompensieren.

Krumm unternimmt eine genaue Textanalyse, um zu zeigen, wie Alexander versuchte, die Figur des Grafen Rainulf von Caiazzo, des großen Widersachers Rogers II. und gleichzeitig Wohltäters der Abtei, irgendwie zu retten, wobei er so weit ging, in einem der von ihm erzählten Träume auch die Aussöhnung zwischen den beiden Antagonisten einzufügen. Diese erfolgte aber in der Wirklichkeit nicht, und daher versuchte Alexander sich durch die Abfassung der Ystoria als Ratgeber des neuen Königs zu empfehlen. Er stellt diesem sowohl biblische Modelle vor, aber auch konkrete Ratschläge zur Verwaltung der von ihm besetzten Burgen. Nach Krumm ist auch die angeführte Auftraggeberschaft Matildes innerhalb des Prozesses der Annäherung an den König zu sehen: der von der Schwester Rogers II. und Witwe des Grafen von Caiazzo erhaltene Auftrag diente dazu, seinem Werk eine erhöhte Rechtfertigung zu geben. Es handelte sich also bei Alexanders, anders als die bisherige Forschung annahm, nicht um einen schon zum Königshof gehörigen Autor, sondern um jemand, der für sich und seine Klostergemeinschaft eine Rolle am Hof des neuen Königs gewinnen wollte und auf die vom Herrschaftswechsel verursachte gewaltsame Krise reagierte.

Ein ähnlicher methodischer Ansatz wird auch bei Falco von Benevent angewendet, auch wenn dieser Fall größere Schwierigkeiten bereitet, so bereits bei der Bestimmung des genauen Zeitpunkts seiner Abfassung. Vom Werk Falcos hat sich weder der Anfangsteil noch der Schluss erhalten, und wir kennen weder seinen Auftraggeber noch seinen Adressaten. Daher sind die ausführlichen Ausführungen Krumms über die Datierung der verschiedenen Phasen des Chronicon manchmal nicht ganz überzeugend, teilweise wegen der Komplexität des Gegenstands, teils als Folge der Absicht der Analyse der einzelnen Teile des Textes bezüglich der causa scribendi und der pragmatischen Geschichte. So z.B. die Untersuchung der von Falco Anaklet II. und Roger II. zugeschriebenen Titel (S. 236-238): die Beobachtungen sind korrekt und bestehen auf einer Datierung der Redaktion des Texts auf ein Datum nach der Vereinbarung von Mignano (1139), aber sie berücksichtigen nicht die Möglichkeit, dass ein Autor in seinem schon geschriebenen Text später Korrekturen oder Änderungen vornehmen kann. Falco war sicherlich am politischen Kampf in seiner Stadt beteiligt und als Notar und späterer Richter gehörte er zum engeren Kreis der Stadtregierung, was er zwischen 1134 und 1137 mit einem Exil von drei Jahren büßen musste. Es scheint fast selbstverständlich, dass sein Werk auch die politische Spannung reflektiert.

Die These, die Krumm aufstellt, wird mit großer Klarheit ausgedrückt: er will zeigen, dass Falco sein Chronicon am Ende des Anakletianischen Schismas abfasste. Diese genaue chronologische Bestimmung ist vereinbar mit der Aufzeigung einer causa scribendi, die darauf abzielt, die vorherige Erfahrung Falcos als konstante Treue zur päpstlich-Innozenzianischen Partei darzustellen und gleichzeitig der Innozenzianischen Partei eine Art „geschichtliches Handbuch“ zu liefern, als sie 1139 wieder in Benevent einzieht. Dieser letzte Punkt enthält eine Schwachstelle, die bedingt ist durch die Unvollständigkeit des Werks und die geringe Verbreitung des Textes, auch wenn er vom anonymen Autor der Chronik von Ferraria benutzt wurde.

In einer sehr umfassenden und detaillierten Studie, wie die hier anzuzeigende, können schon einmal kleinere Ungenauigkeiten vorkommen, wie z.B. auf S. 104, wo Krumm den Besuch der Mönche von S. Maria del Gualdo dem Hof Rogers II. zuschreibt, während er sicher an dem Wilhelms II. erfolgte.

Wie sorgfältig und präzise die vorlegende Arbeit abgefasst wurde, zeigt sich besonders an den Anhängen, von denen ein besonders umfangreicher zahlreiche Textvarianten zur Edition der Ystoria von De Nava bringt, aber auch an einer Anmerkung auf S. 8, welche die wenigen Textkorrekturen zum Chronicon hinsichtlich der Edition von D’Angelo enthält. Hinzu kommt auch Regesten (einschließlich deperdita) der Beneventer Urkunden, die Falco ausstellte oder in denen er vorkommt. Weiters zwei nützliche Listen der Beneventer Notare und Richter für die Zeit von 1100–1150. Und schließlich eine kurze Abhandlung über die Frage der Zuschreibung der Istoria d’Aliffo an Alexander von Telese, die Krumm, wenn auch vorsichtig, positiv beantwortet.

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